Zeitkunstgalerie: Pauline Ullrich und Ursula Strozynski                                  9.9.2024

 

Heute präsentiert die Zeitkunstgalerie wieder einmal zwei Künstlerinnen mit sehr unterschiedlichen Werken, die uns einen gekonnten Spannungsbogen bieten, wunderbar zusammenklingen und darüber hinaus sich wegen aller Unterschiedlichkeit gegenseitig in ihrer Wirkung steigern.

 

Ursula Strozynski:

Die 1954 geborene Künstlerin studierte Architektur an der TU Dresden, hat sich nach kurzer Tätigkeit in diesem Beruf jedoch der bildenden Kunst verschrieben. Seit 1977 ist sie freischaffend als Grafikerin und Malerin in Berlin tätig. Werke von ihrer Hand sind in den Kunstsammlungen namhafter Museen vertreten, darunter in der Nationalgalerie und der Stiftung Stadtmuseum in Berlin, im Lindenau-Museum Altenburg, im Museum für junge Kunst in Frankfurt/Oder, aber auch im Schloss Salder Salzgitter oder im Ludwig Institut Oberhausen sowie im Jüdischen Museum New York. Im Jahr 2019 wurde sie mit dem „Friedrich Schlieh-Preis“ in Schwerin für ihre neuen Akzente in der Grafikszene ausgezeichnet.

 

In ihren exzellenten Radierungen zeigt sich ihre künstlerische Handschrift deutlich. Sie pflegt eine betont klare Bildsprache, reduziert ihre Aussagen ohne narratives Beiwerk auf wesentliche Strukturen. Ihre stringenten Zeichnungen, die in ihrer konsequent sparsamen Linienführung überzeugen, wirken auf den ersten Blick wie zeichnerische Momentaufnahmen. Auf den zweiten Blick erheben sich diese scheinbaren Nebensächlichkeiten oder Alltäglichkeiten zu zeitlosen Sinnbildern. Diese Arbeiten gewinnen ihre Ausstrahlung durch die Konzentration und Beschränkung der genutzten Mittel.

 

Motivisch sind es insbesondere Architekturlandschaften, Plätze, Dächer, Brachen sowie Strand- und Meeresszenen, mit denen die Künstlerin aus dem Blickwinkel der Architektin die Schönheit im Unspektakulären und Schnörkellosen findet, sichtbar macht, und dank ihrer bestechenden Bildsprache erhebt.

 

Dabei wirken die häufig menschenleeren Bilder nicht melancholisch, nicht aufgeregt, aber unglaublich präsent. Es sind Momente zelebriert, die jeder schon einmal gespürt und erlebt hat, die aber z.B. in einem Foto so nicht einzufangen wären.

 

Grandios hat sie z.B. in „Wetter“ (I und II) die Bedrohlichkeit der Naturgewalten eingefangen. Und das mit wenigen Linien. Diese Linien symbolisieren kraftvoll und direkt das mögliche Chaos am Himmel. Diese Bilder lassen unmittelbare Assoziationen zu, sie wecken Gefühle und strahlen Schönheit aus.

Die Hitze des Strandes, die typische mediterrane Architektur oder das das Auge anstrengende flimmernde Licht der strahlenden Sonne, auch die unendliche Statik der Einsamkeit sind beim Betrachten zu empfinden. Ich entdecke die pommersche Küste, eine venezianische Gasse oder ein andalusisches Dorf. Ich interpretiere auch verletzte Straßenzüge deutscher Städte und spüre im Blatt „Liegestühle II“ die Sehnsucht nach dem Meeresstrand. Dies ist eine bezaubernde Wirkung.

Diese Grafiken sind sensibel beobachtet und fangen ein. Und sie sind allgemeingültig.

 

Manche ihrer Arbeiten erinnern an Lyonel Feininger. Sie sind aber eigenständig, haben das vermeintliche Vorbild sympathisch weiterentwickelt. Auf die Collagen ist hier zu verweisen. Und auf den Umgang mit Farbe. Nicht nur die ruhigen Landschaften, die in das Dunkel der Nacht eintauchen (Nr. 22/23) zeigen dies auf.

 

Pauline Ullrich

 

Die 1979 in Halle geborene Künstlerin studierte von 1998–2005 an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein bei Karl Fulle, und Antje Scharfe und schloss ein Aufbaustudium bei Ulrich Klieber an. Künstlerische Anregungen erhielt sich in Kobe (Japan), Göteburg (Schweden) und in Guldagergaard (Dänemark). Unter den Stipendien sind das der Kunststiftung Sachsen-Anhalt im Jahr 2010 und die der Keramik-Stiftung Peter Siemssen in Hamburg hervorzuheben. 2017 und 2018 wurde die Künstlerin mit dem „Allee Center Art“ Publikums- und Kunstpreis der Sparkasse Magdeburg ausgezeichnet.

 

Von ihr sehen sie feinfühlige Plastiken. Realistisch, liebevoll, beschwingt, farbig, zurückhaltend leise, auch mythisch, die sind Worte, die mir bei der Betrachtung in den Sinn kommen. Sie strahlen Harmonie aus. Sie wirken verletzlich.

 

Auf den ersten Blick sind es Charakterköpfe, charakterisierende Porträts, keine Momentaufnahmen. Auf den zweiten Blick eröffnet sich eine besondere Schönheit, die über die Funktion eines Porträts hinausreicht. Schimmernde Laufglasuren, glänzende und matte Kontraste, die Montage von Scherben, Kristallen und archaisch anmutenden Relikten führt zu einer spannenden Lebendigkeit im Ausdruck. Die Experimentierfreude der Künstlerin in der Gestaltung der Oberflächentexturen ist höchst spannend und wohltuend, da sie für die Wirkung die Arbeiten so entscheidend sind. Die kleinen Figuren atmen die Sphäre des Experiments, genau betrachtet sind sie aber sehr wohl durchdacht aufgebaut, sie systematisieren Zufälliges. Die großen Köpfe wirken erstaunlich natürlich und nah. Sie überwinden die denkmalhafte Distanz, die vielen Skulpturen einfach formal innewohnt.

 

Die Plastiken versuchen das eigentlich Nichtdarstellbare, dass was hinter der Fassade in einem Menschen steckt, zu fassen. Damit reflektieren sie bzw. vermitteln Stimmungen. So will die Künstlerin erreichen, dass sich die Betrachter nach und nach neue Wahrnehmungen erschließen. Diese Werke sind nicht für den schnellen Blick gemacht. Sie sind nicht plakativ.

 

Sie erzählen durch die Kombination von diversen Details, durch die unterschiedlichen Texturen der Oberflächen, aber auch durch die Konsequenz der Formen. Und sie wirken so, als wären sie unaufdringliche Begleiter für den Tag oder das Leben. Das verleiht ihnen etwas Märchenhaftes. Oder anders gesagt, sie erzählen unendliche Geschichten, die zu unterschiedlichen Tageszeiten, in verschiedener Beleuchtung und zwischen innerer Ruhe und Unruhe immer wieder anders lauten.    


Dank ihrer Erfahrung haben die Galeristen mit ihrem guten Gespür heute zwei virtuose Künstlerinnen zusammengebracht, die bei aller Unterschiedlichkeit ihrer künstlerischen Mittel sehr gut zusammenklingen und deren Arbeiten sich gegenseitig stärken. Was kann eine Ausstellung mehr wollen. Sie ist bei aller erhabenen Stille in unserer lauten Welt eine Entdeckung, eine Oase des Kunstgenusses.

Ulf Dräger 

Ursula Strozynskis Credo und immer neue Herausforderung besteht in der Beschränkung auf das Wesentliche. Das gilt für Motiv, Komposition und Technik gleichermaßen.
Ihre Kaltnadelradierungen, Aquarelle, Monotypien und Ölbilder von Landschaften und Gebäuden bestechen durch Klarheit und Großzügigkeit. Ausgangspunkt für ihre Arbeiten ist die Zeichnung in der Natur und vor dem Modell. (Ada Raev)

 

1954             geboren in Dingelstädt/ Eichsfeld

1972-1976     Architekturstudium an der Technischen Universität Dresden

1976-1977     Arbeit als Dipl.Ing. in der Projektierung eines Berliner Großbetriebes

                    seit 1977 freischaffend als Grafikerin und Malerin

1998 – 2012   Dozentin an der Marburger Sommerakademie

1999 – 2003   Lehrauftrag an der Technischen Hochschule Zittau, Fachbereich Architektur

Lebt und arbeitet in Berlin

 

PAULINE ULLRICH

Blickwechsel  

Der Weg über den Berg in die nächste Ortschaft heißt „zur Sonne“.

Festgewordener Lehm – unter den Füßen staubt es – gleißende Helligkeit bis zu den Weidenbäumen im Tal. Vom Weg aufgelesene Scherben werden später in die Wandung der entstehenden Figur eingedrückt. Zusammen mit Arbeitsspuren, Linien und Abdrücken entstehen immer weitere Verdichtungen – in Nahaufnahme eine eigene Landschaft.

Der Blick reicht aus der Ateliertür über die Terrasse auf das Feld. Inzwischen ist der Weizen schon geerntet und die Stoppeln fangen das letzte Licht des Tages ein, während die übrige Landschaft im Schatten der Hügel versinkt…

1979 geboren in Halle/Saale

1998 Abitur Landeskunstgymnasium Wettin

1998 – 2005 Studium an der Burg Giebichenstein, Hochschule für Kunst und Design Halle,

2005 Diplom (bei Prof. Karl Fulle, Prof.Ulrich Klieber, André Schinkel; Studium bei Prof. Antje Scharfe)

bis 2007 Aufbaustudium >Mal-Gründe< bei Prof. Ulrich Klieber

 –  freiberuflich tätig, Mitglied BBK Sachsen-Anhalt  –

Auslandsaufenthalte / Stipendien / Preise:

2002 E.U. art and relation center, Kobe (Japan)

2003 hdk Göteborg (Studium mit Erasmus- Stipendium in Schweden)

2006 Stipendium Wilhelm von Kügelgen, Bernburg

2006 u. 2008 Stipendium Peter-Siemssen-Stiftung Hamburg

2010 Stipendium der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt

2010 air award 1; artist in residence Guldagergaard, Dänemark

2011 Assistenz in Guldagergaard

2017 Publikumspreis AlleeCenterArt

2018 Kunstpreis AlleeCenterArt

2018 Stipendium Rheinsberg

Auf der Suche nach dem Wesen einer Skulptur erarbeitet Pauline Ullrich Figuren aus Keramik. Anregungen zu ihrem Thema findet die Bildhauerin in alten Mythen und Märchen sowie in der Kabbala.

„Mir geht es immer nur um die Sachen, die ich mache, nie um meine Person. Ich will Stimmungen erreichen, die – unaufdringlich – sich erst bei dem Hinsehen selbst nach und nach erschließen und neue Bedeutungen, Wahrnehmungsgeschichten möglich machen.“