ANDREA DAMP
1977 geboren in Bergen auf Rügen
1997-1998 Studium der Philosophie und Kunstgeschichte an der
Freien Universität Berlin
1998-2004 Studium der Freien Kunst an der UdK Berlin
bei Prof. Hans-Jürgen Diehl
2000-2001 Stipendium der Dorothea-Konwiarz Stiftung für Malerei
2004 Absolvent der Universität der Künste Berlin;
Stipendium an der Glasgow School of Art
2004-2005 Meisterstudium an der Universität der Künste (UdK)
bei Prof. Hans-Jürgen Diehl in Berlin
Abschluss Meisterschüler
2006-2007 NaföG-Stipendium des Berliner Senats
2008 Lucas-Cranach-Stipendium der Stadt Wittenberg
2008-2010 Karl-Hofer-Stipendium
2009 Franz-Hecker-Stipendium (2. Preis)
Stipendium der Käthe-Dorsch-und-Agnes-Straub-Stiftung
2010 Preis der Dorothea-Konwiarz-Stiftung für Malerei
2014 Preisträger 12. Kunstpreis Tempelhof/Schöneberg (3. Preis)
2014-2017 Lehrauftrag an der Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (HAW), Hamburg
2019 Artist-in-Residence, Art Factory, Budapest,
Lebt und arbeitet in Berlin.
MARTIN MÖHWALD
Der Keramiker Martin Möhwald ist ein ganz Großer der zeitgenössischen Keramik.
Möhwald ist Mitglied einer künstlerisch hochbegabten Familie: Sein Vater Otto Möhwald war Maler, seine Mutter Gertraud Möhwald,
wie er, Keramikerin, ein Neffe ist ein bekannter Schriftsteller. Um die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle lebt ein
Kosmos kreativer und erfolgreicher Künstlerinnen und Künstler. Möhwald, einer von ihnen, hat sein Atelier in der Burgstraße,
einen Steinwurf von der Hochschule entfernt. Er ist dieser Stadt treu geblieben: vor und nach 1989, kehrte er von Symposien
und Einzelausstellungen, die ihn unter anderem in die USA, nach China und Curaçao führten stets zurück und schuf seine einzigartigen
Keramiken: Teekannen und Schalen, Vasen, Krüge. Er sagt: „Oft lasse ich meine Werkstatt so aussehen, also ob ich verreist bin. Ich will ja arbeiten.“
Was zeichnet seine Arbeiten aus? Möhwald macht Kunst, die alltagstauglich und schön für Sonn- und Feiertage ist. Seine Arbeiten sind zugleich
auch Gebrauchsobjekte. Das mag auch daran liegen, dass er von 1970 bis 1972 seine Ausbildung zum Scheibentöpfer in den von Hedwig Bollhagen
geleiteten HB-Werkstätten für Keramik in Marwitz absolvierte. Er schöpft allerdings keine Massenware, kein Stück gleicht dem anderen.
Die wunderbare Rede von RÜDIGER GIEBLER.
Bei Andrea Damp gibt es zwei Idealabstände für den Betrachter: den Abstand von dem man das Wichtigste erkennt, den Inhalt, den Überblick, der die Gesamtheit der schwebenden Blasen erfasst – und den Detailblick für das winzige Personal, für den man nähertreten muss.
Normalerweise gibt es für jedes Bild einen Idealabstand bei dem Beides zusammen fällt, bei Albert Ebert sind das ungefähr zweiundvierzig Zentimeter und in der sixtinischen Kapelle sind es um die zwanzig Meter Deckenhöhe.
Die Bilder von Andrea Damp erklären sich erst, wenn man den winzigen Details nachgeht. Und die erkennt man nur, wenn man nah an die Leinwand tritt.
Diese Elemente stecken im Nebel wie kleine Fehlstellen. Sie erklären das ganze Bild.
Zum ersten mal habe ich diese Zweiteilung bei Hilma af Klint gesehen. Große ausgewogene Flächen und Kleinstkompositionen, die in die raumgreifenden Ornamente wie zufällig eingesetzt sind. Atomstrukturen als Abbilder des universellen Bauplanes.
Bei Andrea Damp sind das die kleinen Frauen, die die Welt an dünnen Drachenschnüren zusammen halten. Sie stehen auf fragilen Gerüsten über bodenlosen Gründen.
Die kleinen Personen sind federleicht, schweben auf Nebelbänken. Fünf Männer, die eine Giraffe beerdigen, eine Frau mit einem Koffer auf einer Leiter, ein Kind im Friesennerz auf Stelzen, ein Baumhaus auf einem dürren Ästchen, ein Harlekin, Windhunde herrenlos und als Gespenster verkleidete Gespenster. Aber verloren scheint da niemand, die brauchen den weiten Raum für ihre Träume.
Durch die Nacht schweben Seifenblasen unerfüllter Wünsche.
Auf Andrea Damps Bildern gibt es eine sehr eigene Atmosphäre, ein gesättigter Äther. Die dunkle Materie ist grünlich – schwebendes Plankton, treibende Blätter und Ranken. Pflanzenfasern kleben in den Farbschlieren des Nebels fest. Aus diesem Äther könnte man Suppe kochen. Überall leuchtende Partikel und im Firnis eingefangene Glühwürmchen.
Was für manche eine alptraumhafte Beengung, ist für andere die Wohlfühllandschaft schlechthin. Das weibliche Multiversum als Illumination der Seelenlage. Eine Absetzbewegung aus der Realität.
Der Horror vacui erzeugt voll vernebelte Bewusstseins-Landschaften. Horizontlose Räume. Die Frage wann und wo sich die Parallelwelt öffnet stellt sich nicht.
Niemand will eigentlich hinaus ins Offene, ins Freie. Alle fühlen sich wohl.
Das sind grundlose Räume mit Materialisierungspotenzen. Eine fruchtbare Ursuppe, alles was die kleinen Frauen und Ihre Freunde sonst noch zum Leben brauchen, wird sich schon noch rechtzeitig materialisieren: wie wetterdichte Unterkünfte, Weihnachtsmärkte, Minigolfplätze, Würstchenstände und nachhaltige Verkehrsmittel.
Das sind Bildgeschichten mit offenen Enden.
Zur Keramik: Man kann die Schönheit eines Gegenstandes erfahren ohne seinen rituellen Kontext zu begreifen. Die Simulation eines Rituals ist nicht verwerflich.
Es geht nur um das Teetrinken. Da kann so Vieles falsch gemacht werden – eigentlich alles. Außer es werden Möhwaldschalen benutzt. Haltung bewahren beim Halten der Schale. Der Schutz, der dem zerbrechlichen Objekt gewährt wird, wirkt zurück auf die Beschützerin.
Wenn man darüber nachdenkt, ob wir das Gefäß halten oder das Gefäß uns hält, fängt die Sinngebung des Handwerks erst an.
Das Meiste an Gebrauchskeramik ist Quatsch. Nur Möhwaldkannen geben wirklich auch seelischen Halt. Nachdenken über Teeschalen.
„Keine Experimente!“ das war der Slogan zur Bundestagswahl 1957, mit dem die CDU für die Bewahrung des Erreichten warbt und dann auch gut über fünfzig Prozent kam. Martin Möhwald hat ihn übernommen und er und alle seine Kunden sind sehr zufrieden damit.
Martin Möhwald ist der der ruhigste Handwerker Sachsen-Anhalts. Eine Ruhe, die allen Halt gibt. Die Sicherheit des immer Gleichen. Ausgewogene Rotationsformen. Auf den Schalen Schrift und rechteckige Raster, antike Sportfreunde, Fische, Kaffeekannen und Krakelee als Ornament.
Es muß noch mal gesagt werden: Es ist etwas Seltenes in dieser Zeit: der Mann ist Krisenresistent. Die Qualität seiner Arbeit hat ein Stand erreicht: dass man sagen kann: Möhwald produziert Erbstücke.
Die Gefahr, dass jemand eine Möhwaldschale bei einer finalen Wohnungsauflösung wegschmeißt ist äußerst gering. Die Dinge sind absolut selbstverständlich, nicht die Spur von unnützem Zierrat. Das sind Alltagsgeräte die das Potential von Ritualobjekten haben.
Keine Exzentrik. Buchstabensuppe als Dekoration. Die Schrift gibt ihren Sinn nicht preis. Der Buchstabe wird zur Hieroglyphe. Aufgeladen mit außergraphologischen Sinn. Dass, was sonst so gut funktioniert wird zum Rätsel. Die Schrift als Ornament. Die Buchstaben als Energiepartikel einer fragmentarischen Kommunikation. Die kryptische Notiz auf der Teeschale ist eine Nachrichtensperre, etwas Abgelegtes, einzelne Wörter und Minisatzfetzchen bleiben übrig, lösen sich aus jedem Zusammenhang, ein angenehm melancholischer Bedeutungsverlust, Minimalisierte Form assoziativer Lyrik auf Halbschalen. Die Bürger sitzen beisammen, trinken Tee aus Möhwaldschalen und stellen fest = Es ist eh schon alles gesagt.
Leichte Silberwolken schweben
Durch die erst erwärmten Lüfte,
Mild, von Schimmer sanft umgeben,
Blickt die Sonne durch die Düfte.
Leise wallt und drängt die Welle
Sich am reichen Ufer hin;
Und wie reingewaschen helle,
Schwankend hin und her und hin,
Spiegelt sich das junge Grün.
Man muss nur alle Tassen zusammen haben und dann kommt man auch auf die richtige Lösung und die heißt wie in den meisten Fällen Goethe.