MORITZ GÖTZE

GÖTZE, DEUTSCH POP?

“Ich kann nicht anders malen, das hat auch mit meinen Vorlieben zu tun: mit mittelalterlicher Glasmalerei, den Tafelbildern von Giotto. Da bin ich zuhause.”

Alles einfach, naiv, kindlich fast – und raffiniert zugleich: bis ins Kleinste durchdacht, gestisch genau, farblich abgestimmt. Das ist Götze. Die Nähe zum Comic liegt auf der Hand. Weshalb er von den einen als Erfinder des „deutschen Pop“ gefeiert, von anderen als „Micky Mouse-Maler von Halle“ belächelt wird. Beides greift zu kurz. Seine Bilder sind abstrakt und konkret, schnörkellos sachlich und abgründig verträumt oder vielmehr traumverloren, das scheinbar Kindliche an ihnen ein Akt der Reduktion, der Konzentration, ein Destillieren des Wesentlichen. Nah an den Wurzeln jeglicher Kunst, speziell der des Mittelalters verwandt.  (Jens Fietje Dwars)

1964 in Halle geboren // 1981–1983 Lehre als Möbeltischler // 1986 Arbeit als Maler/Graphiker // 1991–1994 Lehrauftrag für Sérigraphie, Hochschule Burg Giebichenstein, Halle // 1994 Gastprofessur für Sérigraphie, École Nationale Supérieure des Beaux Arts, Paris // 1996 Kunstförderpreis des Landes Sachsen-Anhalt // 1997 Grafikpreis der Vereinigten Zigarettenfabriken Dresden // 2000–2004 Gestaltung des Erscheinungsbildes der Leipziger Buchmesse // 2007 Technisches Museum Peenemünde, Ausstellung „Karl Hans Janke vs. Wernher von Braun – Die Ideen eines Weltraumphantasten“; Franckesche Stiftungen Halle, Ausstellung „Das Mosaik von Hannes Hegen. Abenteuer Wissenskosmos“ kuratiert gemeinsam mit Peter Lang // 2008 Bühnenbild Hamlet, Neues Theater, Halle // 2009 Gemeinsame Tintenwurf-Aktion mit Bazon Brock, im Luther-Zimmer auf der Wartburg // 2010 Große Plastische Installation „Mond“ zur Landesgarten Ausstellung in Aschersleben // 2012 Erste große Werkschau in den USA, Rourke Art Museum, Moorhead // 2013 „Gewissheit. Vision – Francke von heute aus gesehen“, Franckesche Stiftungen Halle, kuratiert gemeinsam mit Peter Lang // 2016 Beginn der Grand Tour Ausstellungstournee zusammen mit Rüdiger Giebler // Nach 10-jähriger Planungs- und Realisierungdauer Einweihung der mit Emaillemalerei ausgestalteten Schlosskirche Sankt Ägiedien, Bernburg (2006-2016)

Moritz Götze, „Wette auf die Zukunft“, Ausstellungseröffnung am 23.11.24 in der Zeitkunstgalerie

Sechzig, das passiert den meisten, obwohl der Sechzigste ist nix für Rock ‘n‘ Roller. Die haben mit siebenundzwanzig fertig wie Kurt Cobain und Jimi Hendrix und Jim Morrison und viele,viele andere, und Maler machen mit sechsunddreißig die Flocke, Raffael, van Gogh und Egon Schiele.

Wie so einiges hat Götze – zum Glück – auch diese Termine ignoriert und macht einfach immer weiter. Seinen Sechzigsten hat nun ein bunter Reigen von Ausstellungen geziert und hier und heute wird dem Ganzen zum Abschluss ein Krönchen aufgesetzt.

Zu der Ausstellung von Moritz Götze in Quedlinburg, im Feininger-Museum, hatte sich Reiner Haseloff zu einer Privatführung eingefunden. Logisch; der Ministerpräsident hat es bestimmt sehr genossen endlich mal einen Gewerbetreibenden in Sachsen-Anhalt zu treffen, der nie jammert und immer grundoptimistisch ist. Und wenn es doch mal Grund zur Klage gibt, weil eine weit abgelegene Dorfkirche zusammenbricht, gründet Götze einen Verein und es werden effektive Baubestandssicherungsmaßnahmen eingeleitet. 

Götze erledigt alle Aufträge zu den verpflichtenden Terminen, alle Hohlräume und Leerstellen werden mit selbstleuchtendem Optimismus gefüllt. Ratlos vor der Gegenwart stehen, das Kunstwerk als Mittel der Selbstisolation und des Selbstschutzes nutzen, als Distanzwaffe, mit dem ein Autor Abstand nimmt, dass der Künstler sich aus der Welt verabschiedet und mit jedem Werk weiter entfernt, so etwas gibt es bei Götze nicht. Kein Zweifel. Niemals aufgeben, Niemals kapitulieren. 

Götze malt einfach was gebraucht wird und immer gut ankommt. Der Mann hat etwas Frank-Schöbel-haftes. Und das ist gut so, beide wollen doch nur ihre Mitmenschen glücklich machen.

Götze ist ein engagierter Lokalpatriot, mitunter unerklärlich, woher diese Begeisterung kommt, wenn man sich die Lokalitäten richtig ansieht. Es müßte einmal genauer betrachtet werden, ob hier ein Übertragungsphänomen ödipaler Komplexe auf die Topographie der Vaterstadt vorliegt; also die Hinausverlagerung eines subjektiven Vorganges in die soziale und bauliche Struktur des städtischen Gemeinwesens. Eine Glorifizierung. Das Volk und der Senat von Halle an der Saale. Allerdings, mit diesem Schattenproblem ist er in der halleschen Kunstgeschichte nicht allein, ich erwähne nur Otto Möhwald, Fritz Müller und Uwe Pfeiffer.

In dieser Jahresendveranstaltung sind zwei Personen zu nennen, denen Moritz Götze sehr viel verdankt. Wer das Haus von Inge und Wasja Götze einmal von innen gesehen hat, begreift, dass alle späteren Einflüsse nachrangig sind. In diesem Haushalt wurde Moritz Götze, von frühesten Jahren an, mit Kunst in ihrer grellsten und aufmüpfigsten Form imprägniert. Dazu die Inspiration durch die vielen Gäste des Hauses, Literaten, Musiker, Schauspieler. Dass die Nähe von Vater und Sohn, ab und an, zu Konflikten führte, ist ein bedauerlicher, aber zu vernachlässigender Systemfehler. (Der anarchistischen Bewegung haben solche Kämpfe mehr geschadet als alle vereinten Gegner.)

Im Prinzip hat Götze, in dem Moment als er das Elternhaus verlassen hat, seine künstlerische Ausbildung abgeschlossen. Von da ab war es Mühe und Arbeit und Partizipation in umfänglicher Form. Er war und ist, immer und überall dabei.

(Das hat Nachteile, je mehr der Mann arbeitet umso weniger hat man Lust selber was zu machen – wenn nach einer der vielen Ausstellungseröffnungen, ausnahmsweise mal kein Licht brennt in seinem Atelier, hat das fast was Beruhigendes.)

Das Personal auf diesen Bildern: die Männer stehen, die Damen sitzen oder liegen. Die Männer machen meist nix auf diesen Bildern. Sie stehen rum und halten eine Leiter oder eine Palette. 

Die Damen füllen dekorativ den Raum der ihnen zusteht. Sie sitze und liegen oder lehnen sich an Säulen oder Männer. Wie es unter den immer schön geschmückten Gewändern mit der Anatomie weitergeht, ist manchmal ein Rätsel. Die Frauen machen noch weniger als die Männer, sie haben genug damit zu tun sich zu langweilen. Eine vollkommen unzeitgemäße Rollenverteilung. Erstaunlich, dass es da noch keinen Ärger gab. Die Aktivist*innen haben wohl anderes zu tun.

Chaos und Dekor und die Farbe. 

Eine endlos lange Reihe von Bildermalern beschäftigte sich mit den Wechselwirkungen von Licht und Schatten, der Modulation der Dinge, der Möglichkeit ihnen Leben einzuhauchen. Jens-Fietje Dwars hat in seiner Preisrede dem Werk Götze einen apollonischen Geist attestiert. 

Also: Durchsetzungsfähig, zielsicher und weittreffend, Drachen bezwingend, unergiebig, selbstleuchtend. Mit anderen Worten, Gefangene werden nicht gemacht. Die Objekte haben so viel Aura wie eine Glühbirne. Das ist gemaltes Neonlicht. „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ ist für Götze kein abgelegtes oder unbrauchbares Schlagwort.

Zur Reproduktion zählt auch das Zitat als verbindendes Mittel. Er verarbeitet Bildmotive wie in einer Manufaktur, wie Warhols Suppendosen als deutsche Suppenkonserve, von der man zwar weder Rezept noch Inhaltsstoffe kennt, die jedoch anschaulich der Etikettierung von den Geistesgrößen unserer Nation empfohlen werden – oder Zitatverwertung: das Georg-Friedrich-Kersting-Portrait des wandernden Caspar David Friedrich. Friedrich taucht hier mehrfach auf, das ist der Mann mit dem Schulranzen, der uns immer den Rücken zukehrt.

Aus dem Kupferstich der Melancholia von Albrecht Dürer hat er nun diesen seltsamen Mehrflächler herausgelöst.

Kurze Beschreibung, stellen sie sich vor: 

Sie nehmen einen Würfel und fassen ihn so, dass sie ihn diagonal an zwei Ecken zwischen Daumen und Zeigefinger drehen können, und nun schneiden sie zwei dieser gegenüberliegenden Ecken ab, so dass die drei Kanten, die nach oben, oder unten zeigen, in jeweils ihrer Mitte halbiert werden. 

Frage: Wieviel Ecken hat das Ding jetzt?

Dann stellen Sie das Ding auf eine der sich ergebenden Dreiecke und zeichnen das, flach an dem unteren linken Fünfeck vorbei – in Zentralperspektive. 

„Da fängt die darstellende Geometrie erst an Spaß zu machen“ sagt Albrecht Dürer. Götze springt über diese Hürde wie über jede andere. 

Das ist ein Körper aus der Zukunft. Ein Bruchstück eines Erbinformations-Traktes, eine unbekannte Kohlenstoffverbindung, ein Raummodell für utopische Bauwerke.  

Selbst wenn Dürer so ein Objekt aus Holz, Bleikristall oder Elfenbein besessen hätte – so was zeichnet man nicht einfach ab. Auch Dürer nicht. Das wird konstruiert mit der damals gerade hundert Jahre alten Zentralperspektive.

Warum nun sitzt Dürers Engel der Melancholie neben diesem Ding. Dürers Radierung ist eine Antwort. 

Dürer hat eine Nachricht aus der Zukunft bekommen: von Karl Friedrich Gauß oder Erwin Schrödinger oder Manfred von Ardenne. Er hat sie wohl nicht recht verstanden oder sich gesagt, was solls, ich habe genug zu tun mit den Spinnern meiner Zeit und meiner Mutter und mit dieser Renaissance. Aber er hat diese Konstruktion in die Radierung als Zeichen eingebaut, dass er die Nachricht erhalten hat. Und nun hat Götze darauf geantwortet, wo doch die Zukunft schon wieder vorbei ist. 

Aber sie können noch auf diese Zukunft wetten, kaufen sie die Wände leer, ihre Enkel werden es ihnen danken. Und von Reiner Haseloff soll ich ihnen noch ausrichten, dass Götze einer der wenigen Kleinunternehmer in Sachsen-Anhalt ist, der belastbar werthaltige Produkte herstellt.

Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid

(Rüdiger Giebler)