Sigrid Hilpert-Artes
„In ihrer Werkstatt entstehen üppige keramische Tafeldekorationen mit Fayencemalerei, die auf höchst eigenwillige und poetische Art die Festtafel verschönern. Ihre Fisch- und Fabelwesen, die Meerjungfrauen, Göttinnen und Tänzerinnen erinnern an Tausendundeine Nacht, an antike Festgelage und heitere Stimmung.
Ein barockes Lustgefühl, eine sinnliche, genussfreudige Welt tut sich dem Betrachter und Benutzer auf: Man sieht förmlich die Pasteten in den Terrinen mit Enten und Gänseköpfchen und die Pralinen in den Lustvollen Döschen, auf denen sich spärliche bekleidete Sphinxen räkeln. Die Arbeiten von Sigrid Hilpert-Artes bezaubern durch die Qualität der Malerei, die Fülle der bildnerischen Erfindungen sowie der harmonischen Gestaltung der keramischen Formen.
Sie formt Teller, Kannen, Vasen und verziert sie mit plastischen Elementen. Jedes Stück erzählt Geschichten. Dem Betrachter und Benutzer dieser Keramik wird ein ästhetisches Vergnügen und ein sinnliches Erleben geboten.“
Dr. Angela Böck
Biografie
seit 1979 freischaffende Keramikerin
1972-1977 Keramikstudium mit Diplom
1977-1979 Studium in der Bildhauerei
lebt seit 1991 in Dresden
Die Irdene – Die Keramik-Künstlerin Sigrid H.-Artes
Die Künstlerin Sigrid Claude Hilpert-Artes erlernte Zeichnen und Malen schon früh von ihrer gleichnamigen Mutter. Sie blieb dem Pinsel treu, allerdings auf Keramik. Künstlerisch betrachtet einer Mischform aus Bildhauerei und Malerei.
Noch bevor mir das Schaufenster des Ateliers von Sigrid H.-Artes ins Auge fiel, tat es der Hinterkopf der Künstlerin vor einigen Jahren. Die Brille auf der Nase, das Haar korallig-rot, saß Frau H.-Artes nicht selten noch zur nachtschlafenen Stunde unter weißem Licht an einem Arbeitstisch, betätigte sich an etwas, das offensichtlich höchste Konzentration erforderte und inspirierte mich dazu, mich auch noch an den Schreibtisch zu setzen.
Sigrid H.-Artes “vor die Linse zu bekommen” brauchte Zeit, denn sie führt derzeit ein teilnomadisches Leben. Der Grund ist ein erfreulicher: Die Liebe. Indem sie ihr Weg wieder nach Brandenburg führt, schließt er einen Kreis. Denn hier verbrachte Sigrid C. Artes nach dem Studium an der Burg Giebichenstein ein Dutzend Jahre ihres (Künstler-)Lebens und trifft wieder auf die Künstler Ursula Zänker und Karl Fulle, mit denen sie zusammen lebte und arbeitete. Wir sitzen bei einer großen Kanne süßem Schwarztee mit Milch im Atelier. Sigrid H.-Artes zieht an einer Zigarette. Das Koralllenrot der Haare ist Silberfuchsweiß gewichen – es leuchtet aber noch auf Lippen und Wangen. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den von ihr geschaffenen Nixen, Göttinnen und Sphinxen ist nicht zu übersehen. Prächtig, prunkvoll, üppig an Farbigkeit und Details sind die Werke der Künstlerin. Echte Erbstücke.
Fayence heißt die Technik, nach der Sigrid H.-Artes ihre Gefäße und Figuren gestaltet. Sie wurde schon immer genutzt, um chinesische Porzellanmalerei zu imitieren. Dazu werden die Stücke nach dem ersten, dem Schrühbrand, in eine weiße Glasur aus Zinnoxid getaucht. Er wird später beim zweiten Brand schmelzen, die Oberfläche versiegeln und die aufgetragenen Oxid-Farben zum Leuchten bringen.
Malen wie auf Löschpapier
Die Farben werden aus Farbkörpern angerührt und nach dem Glasurbad aufgetragen. Das geschieht mit einem speziellen Pinsel, aus dem einige Borsten – ähnlich einem Zeigefinger aus der Faust – weiter hervorstehen. So speichert der Pinsel genug Wasser, gibt aber wie bei einer Feder nicht zu viel Flüssigkeit auf einmal ab. “Ich male wie auf Löschpapier”, beschreibt es Sigrid Hilpert-Artes. Jeder Strich muss sitzen. Sonst sickert die Farbe in die saugfähige, trocknete Glasur und diese müsste nach einem Fehler komplett abgetragen werden. Je nach Objekt nimmt die aufwendige Bemalung bis zu einen kompletten Tag in Anspruch. Dann folgt der zweite Brand. “Ich bin immer noch jedes Mal aufgeregt”, sagt Sigrid C. Artes. Für die Keramik entschied sich Sigrid C. Artes auf den Rat ihrer Mutter hin. Als Malerin hatte sie stets um ihr Fortkommen zu kämpfen. Sie riet der Tochter, Kunst und Handwerk zu kombinieren. C als Unterscheidungsmerkmal
Geboren im Thüringischen Melkers, absolvierte Sigrid H.-Artes ihr Abitur in Dresden. Mit Malen und Zeichnen beschäftigte sie sich von Kindheit an, angeregt durch ihre Mutter und befreundete Künstler*innen. Aus übergroßer Liebe zu ihrer Mutter, erzählt sie, ließ ihr Vater kurz nach der Entbindung für sie ebenfalls den Namen “Sigrid” eintragen. Ihre Mutter war darüber empört, aber ändern ließ es sich nicht mehr. Deshalb gab ihr ihre Mutter den zusätzlichen Namen “Claude”. “Es entzog sich der Kenntnis meiner Mutter, dass es sich um einen männlichen französischen Vornamen handelt”, sagt Sigrid H.-Artes lächelnd. Das “C” wurde in der Konversation zum nützlichen Unterscheidungsmerkmal. An der Burg Giebichenstein übertrug Sigrid C. Artes ihr zeichnerisches Können auf das irdene Material. In einem Zusatzstudium widmete sie sich anschließend der Bildhauerei. “Wir bauten lebensgroße Figuren auf”, berichtet sie. Die erlernten Fähigkeiten kommen ihr beim Aufbau ihrer Figuren bis heute zugute.
Kunst in der Roßschlächterei
“Natürlich wollten viele Studenten nach dem Studium an der Burg in Halle bleiben”, erinnert sich Sigrid H.-Artes. “Hier war der Lebensmittelpunkt, Freunde und Kontakte.” Aus Wohnungsmangel war das schlicht nicht möglich und die Künstler*innen wurden ersucht, sich ein Plätzchen über Land zu suchen. Im Kollektiv wurden Sigrid Artes, Ursula Zänker und Karl Fulle in Neuruppin fündig.
In einer ehemaligen Roßschlächterei wurde das Atelier eingerichtet. Über zwölf Jahre arbeitete und lebte das Trio gemeinsam. “So eine Zeit schafften nicht alle”, sagt Sigrid H.-Artes. Für die friedliche Koexistenz brauchte es “das ein oder andere freundliche Gespräch”, aber es gelang. Und das fruchtbar. Es wäre wohl weiter gegangen, wäre die Wende nicht gekommen.
Wenden und Enden
Mit der Wende wollte sich die Gemeinde das sanierungsbedürftige Gebäude, in dem sich die Werkstatt befand, entledigen und legte dem Trio den Kauf nahe. Nach langem Zaudern wurde dafür privates Geld zusammen gekratzt. “Wir hatten keinen Pfennig mehr”, entsinnt sich Sigrid H.-Artes. Das Haus war gekauft – da stand der rechtmäßige Besitzer plötzlich vor der Tür. Sigrid H.-Artes: “Er sagte: ‘Ihr habt ohnehin keine Chance, weil ihr nicht im Grundbuch steht.’” So wurde der Kauf rückabgewickelt. Das Kollektiv wurde auseinander gerissen. Jeder suchte sein Obdach woanders. Ursula Zänker baute sich ein Wochenendgrundstück aus, Karl zog Fulle zu einem Freund. Sigrid H.-Artes zu ihrer Mutter nach Dresden zurück. Diese war beteiligt an den Rekonstruktionsarbeiten in der zerstörten Stadt, auch in der Sempergalerie Alte Meister. Damals, so Sigrid Artes, beteiligten sich zahlreiche Künstler*innen in diesem Bereich. Hilfe war nötig und eine eigene Ausbildung für die rekonstruktiven Arbeiten nicht erforderlich.
Sigrid H.-Artes bekam schnell eigene Aufträge. Sie restaurierte unter anderem in der Therese-Malten-Villa, dem Dinglinger Schloss, Ballhaus Watzke und Pfund’s Molkerei. Sie schloss sich mit einem Restaurator zusammen. Für zehn Jahre lebte und arbeiten beide gemeinsam in Loschwitz. Dann folgte eine private Wende, die Sigrid Artes in die Johannstadt führte.
Der Rythmus der Erde
Sigrid H.-Artes verlagerte sich wieder auf das eigene Schaffen mit Ton. An der Blumenstraße fand sie einen dafür geeigneten Raum, den sie allerdings mit aufwendigen Umbauten nutzbar machen musste. “Hier sollte eigentlich eine Bäckerei aus Pirna einziehen”, erzählt sie. Atelier und die heutigen Wohnräume dahinter waren eine große Fläche. Sigrid H.-Artes zog mit der Hilfe von Freunden Wände hoch und richtete sich ein.
Im vorderen “Ladenteil” der Werkstatt stehen wie Fabelwesen ihre Keramiken dicht an dicht.
Hier können im Winter Minustemperaturen herrschen. Im Sommer dient der Raum gelegentlich als Gästezimmer. Über allem liegt eine feine Schicht aus Erd-Staub. Im Ton kommen alle Elemente zusammen: Erde, Wasser, Luft, Feuer. Die Arbeit geht auf die Knochen: Das Sitzen an der Drehscheibe, die gebeugte Haltung beim hochkonzentrierten Bemalen.
Man müsste ja so viel mehr für den Körper machen, kommen wir im Gespräch überein. Aber die Regelmäßigkeit ist so eine Sache. Dazwischen funken stets die Arbeit und das Leben. Und so viele neue Dinge zum Ausprobieren. Oder eben die Liebe, die unerwartete Spagate erfordert. (Text: Philine Schlick)
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